A.III. 66 Die Rede an die Kālāmer - 5. Kesamutti Sutta

So habe ich gehört. Einstmals kam der Erhabene auf seiner Wanderung im Kosalerlande zusammen mit einer großen Schar von Mönchen zu einer Stadt der Kālāmer (Lt. K ein Khattiya- oder Adelsstamm) namens Kesaputta (ChS: kesamuttam).

Es vernahmen nun die Kālāmer aus Kesaputta die Kunde: »Der Asket Gotama, der Sakyersohn, der aus dem Sakyergeschlecht in die Hauslosigkeit zog, ist in Kesaputta eingetroffen. Über diesen erhabenen Gotama aber hat sich solch schöner Ruhmesruf verbreitet: 'Dies fürwahr ist der Erhabene, der Heilige, vollkommen Erwachte, der in Wissen und Wandel Bewährte, der Gesegnete, der Kenner der Welt, der unvergleichliche Lenker führungsbedürftiger Menschen, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene!' Er erklärt diese Welt mit ihren guten und bösen Geistern und ihren Brahma-Göttern, mit ihrer Schar von Asketen und Priestern, mit ihren Göttern und Menschen, nachdem er sie selber erkannt und durchschaut hat. Er verkündet die Lehre, die am Anfang schöne, in der Mitte schöne und am Ende schöne; dem Sinne und dem Wortlaut nach verkündet er den ganz vollkommenen, lauteren Reinheitswandel. Gut ist es, solche Heilige zu sehen.«

Und es begaben sich die Kālāmer aus Kesaputta dorthin, wo der Erhabene weilte. Dort angelangt, brachten einige dem Erhabenen ihre Verehrung dar und setzten sich zur Seite nieder; einige begrüßten sich mit dem Erhabenen und setzten sich zur Seite nieder; einige streckten ihre zusammengelegten Hände dem Erhabenen entgegen und setzten sich zur Seite nieder; einige gaben Name und Familie kund und setzten sich zur Seite nieder; einige setzten sich schweigend zur Seite nieder. Zur Seite sitzend, sprachen nun die Kālāmer aus Kesaputta zum Erhabenen also:

»Es kommen da, o Herr, einige Asketen und Brahmanen nach Kesaputta; die lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, den Glauben anderer aber beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen sie. Wieder andere Asketen und Brahmanen kommen nach Kesaputta, und auch diese lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, und den Glauben anderer beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen sie. Da sind wir denn, o Herr, im Unklaren, sind im Zweifel, wer wohl von diesen Asketen und Brahmanen Wahres, und wer Falsches lehrt.« -

»Recht habt ihr, Kālāmer, daß ihr da im Unklaren seid und Zweifel hegt. In einer Sache, bei der man wirklich im Unklaren sein kann, ist euch Zweifel aufgestiegen.

Geht, Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, (*1) nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden', dann o Kālāmer, möget ihr sie aufgeben.

Was glaubt ihr, Kālāmer: gereicht die Gier, die im Menschen aufsteigt, ihm zum Heil oder Unheil?« -

»Zum Unheil, o Herr.« -

»Aus Gier, Kalamer, von der Gier überwältigt, umstrickten Geistes, tötet man Lebendiges, nimmt man Nichtgegebenes, vergeht man sich mit seines Nächsten Weib, spricht man Lüge und spornt auch andere dazu an; und dies wird einem lange Zeit zum Unheil und Leiden gereichen.« -

»So ist es, o Herr.« -

»Was glaubt ihr, Kālāmer: gereicht der Haß und die Verblendung, die im Menschen aufsteigt, ihm zum Heil oder Unheil?« -

»Zum Unheil, o Herr.« -

»Aus Haß und Verblendung, Kalamer, von Haß und Verblendung überwältigt, umstrickten Geistes, tötet man Lebendiges, nimmt man Nichtgegebenes, vergeht man sich mit seines Nächsten Weib, spricht man Lüge und spornt auch andere dazu an; und dies wird einem lange zum Unheil und Leiden gereichen.« -

»So ist es, o Herr.« -

»Was glaubt ihr, Kālāmer: sind diese Dinge heilsam oder unheilsam?« -

»Unheilsam, o Herr.« -

»Verwerflich oder untadelig?« -

»Verwerflich, o Herr.« -

»Werden diese Dinge von Verständigen gepriesen oder getadelt?« -

»Getadelt, o Herr.« -

»Und führen diese Dinge, wenn ausgeführt und unternommen, zu Unheil und Leiden oder nicht? Oder wie steht es hiermit?« -

»Diese Dinge, o Herr, wenn ausgeführt und unternommen, führen zu Unheil und Leiden. So denken wir hierüber.« -

»Aus diesem Grunde eben, Kālāmer, haben wir es gesagt: Geht, Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt,und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden', dann, o Kālāmer, möget ihr sie aufgeben.

Geht, Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von den Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl', dann, o Kālāmer, möget ihr sie euch zu eigen machen.

Was glaubt ihr, Kālāmer: gereicht die Gierlosigkeit, die im Menschen aufsteigt, ihm zum Heil oder Unheil?« -

»Zum Heile, o Herr.« -

»Frei von Gier, Kālāmer, nicht von der Gier überwältigt, unumstrickten Geistes, tötet man nicht Lebendiges, nimmt man nicht Ungegebenes, vergeht man sich nicht mit seines Nächsten Weib, spricht man keine Lüge, und auch andere spornt man nicht dazu an; und dies wird einem lange Zeit zum Segen und Wohl gereichen.« -

»So ist es, o Herr.« -

»Was glaubt ihr, Kālāmer: gereicht die Haßlosigkeit und die Unverblendung, die im Menschen aufsteigt, ihm zum Heil oder Unheil?« -

»Zum Heile, o Herr.« -

»Frei von Haß und Verblendung, nicht von Haß und Verblendung überwältigt, unumstrickten Geistes, tötet man nichts Lebendiges, nimmt man nicht Ungegebenes, vergeht man sich nicht mit seines Nächsten Weib, spricht man keine Lüge, und auch andere spornt man nicht dazu an; und dies wird einem lange Zeit zum Segen und Wohl gereichen.« -

»So ist es, o Herr.« -

»Was glaubt ihr, Kalamer: sind diese Dinge heilsam oder unheilsam?« -

»Heilsam, o Herr.« -

»Verwerflich oder untadelig?« -

»Untadelig, o Herr.« -

»Werden diese Dinge von Verständigen getadelt oder gepriesen?« -

»Gepriesen, o Herr.« -

»Und führen diese Dinge, wenn ausgeführt und unternommen, zum Wohle oder nicht? Oder wie steht es hiermit?« -

»Diese Dinge, o Herr, wenn ausgeführt und unternommen, führen zu Segen und Wohl. So denken wir darüber.« -

»Aus diesem Grunde eben, Kālāmer, haben wir es gesagt: Geht, Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl', dann, o Kālāmer, möget ihr sie euch zu eigen machen. Was ich so gesagt habe, wurde eben mit Bezug hierauf gesagt.

Derart von Begierde und Übelwollen befreit, unverwirrt, wissensklar und achtsam, durchdringt der edle Jünger mit einem von Güte - von Mitleid - von Mitfreude - von Gleichmut erfüllten Geiste die eine Himmelsrichtung, ebenso die zweite, ebenso die dritte, ebenso die vierte. So durchdringt er oben, unten, quer inmitten, überall, allerwärts, die ganze Welt mit einem von Güte, Mitleid, Mitfreude oder Gleichmut erfüllten Geiste, einem weiten, umfassenden, unermeßlichen, von Haß und Übelwollen befreiten.

Mit einem derart von Haß und Übelwollen freien, also unbeschwerten, also geläuterten Geiste ist dem edlen Jünger noch bei Lebzeiten vierfacher Trost gewiß:

'Gibt es eine andere Welt und gibt es eine Frucht, ein Ergebnis guter und schlechter Taten, so ist es möglich, daß ich beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Daseinsfährte erscheine, in himmlischer Welt' -dieses ersten Trostes ist er gewiß.

'Gibt es aber keine andere Welt und keine Frucht, kein Ergebnis guter oder schlechter Taten, so lebe ich eben hier in dieser Welt ein leidloses, glückliches Leben, frei von Haß und Übelwollen' - dieses zweiten Trostes ist er gewiß.

'Wenn nun einem Übeltäter Übles widerfährt, ich aber gegen niemanden Übles im Sinne habe wie kann da wohl mir, der ich nichts Übles tue, Unheil widerfahren?' - dieses dritten Trostes ist er gewiß.

'Wenn aber einem Übeltäter nichts Übles widerfährt, so weiß ich mich hier eben beiderseits rein' - dieses vierten Trostes ist er gewiß.

Mit einem derart von Haß und Übelwollen freien, also unbeschwerten, also geläuterten Geiste ist dem edlen Jünger noch bei Lebzeiten dieser vierfache Trost gewiß.« -

»So ist es, Erhabener! So ist es, Gesegneter! Mit einem derart von Haß und Übelwollen freien, also unbeschwerten, also geläuterten Geiste ist einem edlen Jünger noch bei Lebzeiten dieser vierfache Trost gewiß.

Vortrefflich, o Herr! Vortrefflich, o Herr! Gleichwie man, o Herr, Umgestürztes wieder aufrichtet oder das Verborgene enthüllt oder den Verirrten den Weg weist oder in die Finsternis ein Licht bringt, damit, wer Augen hat, die Gegenstände sehen kann, ebenso hat der Erhabene auf mancherlei Weise die Lehre aufgezeigt. Unsere Zuflucht nehmen wir, o Herr, zum Erhabenen, zur Lehre und zur Mönchsgemeinde! Als Anhänger möge uns der Erhabene betrachten, als solche, die von heute ab zeitlebens Zuflucht genommen haben.«


(*1) ditthi-nijjhāna-kkhanti; ditthi: Ansicht; nijjhāna: Sinnen, Ersinnen; khanti, hier: Wahl, Billigung, Gefallen, Bevorzugung. Den ganzen Ausdruck könnte man auch mit 'Lieblingsideen' wiedergeben.

Laut K handelt es sich hier um etwas von anderen Erdachtes, an dem man durch wiederholte Beschäftigung damit (nijjhāna) Gefallen (khanti) findet, sich darauf festlegt und es schließlich als eigenes Gedankengut betrachtet. -

Varianten dieses Ausdrucks kommen in den Texten auch in positivem Sinne vor, z.B. in M.70: dhammā nijjhānam khamanti.